"Wir setzen auf Megatrend"
MZ 05.02.2022
Im Chemiepark Leuna befindet sich aktuell eine der größten Industriebaustellen Deutschlands. Mehrere Unternehmen bauen neue Anlagen - doch für Neuansiedlungen wird der Platz langsam knapp.
MZ-Redakteur Steffen Höhne sprach mit Christof Günther, Geschäftsführer der Chemieparkgesellschaft InfraLeuna, über die geplante Erweiterung des Standorts, die künftige Energieversorgung und die Auswirkungen der aktuell hohen Erdgas- und Strompreise auf die ansässigen Chemie-Unternehmen.
Herr Günther, wegen stark gestiegener Energiepreise haben Sie im Herbst 2021 Alarm geschlagen und vor Produktionsstilllegungen in der ostdeutschen Chemieindustrie gewarnt. Diese sind bisher glücklicherweise ausgeblieben. War Ihre Prognose zu düster?
Christof Günther: Die Produktion geht teilweise zurück, und wir hatten zum Jahresende 2021 Rekordpreise für Erdgas und Strom. Dass das die Industrie belastet, liegt auf der Hand. Vielen Firmen ist es aber gelungen, die gestiegenen Energiekosten zumindest teilweise an die Kunden weiterzugeben. Für unseren Standort kann ich sagen, dass wir aktuell keine Einschränkungen haben. Es ist aber eine gewaltige Herausforderung, mit den gestiegenen Preisen umzugehen.
Einige deutsche Kunststoffhersteller melden Rekordgewinne. Spricht das nicht dafür, dass die Firmen gut mit der Situation umgehen können?
Es gibt sicher einige Firmen, die sich durch Preiserhöhungen auf die Situation einstellen konnten. Die Frage wird sein, wie die Entwicklung in diesem Jahr weitergeht. Denn steigende Preise für Chemieprodukte haben volkswirtschaftliche Auswirkungen: Chemie ist in fast jedem Produkt drin. Das sehen wir jetzt schon an der steigenden Inflation. Werden Produkte teurer, könnte die Nachfrage sinken.
Auch in China steigen die Energiepreise stark, dort gab es sogar Stromsperren. Wird der deutsche Standort schlechter geredet, als er ist?
In China gab es Ende 2021 große Probleme, da durch Überschwemmungen Tagebaue außer Betrieb gehen mussten und in der Folge Kraftwerke abgeschaltet wurden. Doch das sind temporäre Effekte. In China werden neue Kohlekraftwerke gebaut mit einer langfristig planbaren Erzeugungsleistung. In Deutschland haben wir einen festen Plan für den Rückbau und die Abschaltung von planbarer Erzeugungsleistung. Ein Plan für deren Ersatz ist hingegen nicht erkennbar. Das wird nicht ohne Folgen bleiben für die deutsche Chemieindustrie, die große Mengen planbarer Energie benötigt und auf höchste Versorgungssicherheit angewiesen ist.
Die TotalEnergies-Raffinerie in Leuna hat mehrere Projekte wie die Erzeugung von grünem Wasserstoff angestoßen, um ihren CO2 -Ausstoß zu verringern. Was tut die InfraLeuna?
Die Energieversorgung hier am Standort Leuna ist so CO2-effizient wie an kaum einem anderen Chemiestandort weltweit. Das ist Resultat unserer Arbeit in den vergangenen Jahren. So liefern beispielsweise eine Abfallbehandlungsanlage und exotherme Chemieanlagen Dampf für die Chemieunternehmen. Wir modernisieren und erweitern aktuell eines unserer Gaskraftwerke, um immer dann Strom zu erzeugen, wenn die erneuerbaren Energien keine ausreichenden Mengen liefern. Unser CO2-Abdruck ist daher schon vergleichsweise gering, doch wir haben auch neue Projekte angestoßen.
Worum handelt es sich dabei?
Wir arbeiten unter anderem an einem Solarpark auf der Hochhalde Leuna. Auf diesem großen Areal lagert die Kraftwerksasche aus 80 Jahren. Zusammen mit dem Eigentümer, der landeseigenen Mitteldeutschen Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft, wollen wir dort eine Photovoltaik-Anlage bauen, die unsere Kunden mit grünem Strom versorgen soll.
Wie groß wird die Anlage werden?
Der Solarpark soll eine Leistung um die 45 Megawatt besitzen. Es wäre das größte derartige Projekt in der deutschen Chemieindustrie. Wir verbrauchen keine landwirtschaftlichen Flächen und beeinträchtigen nicht das Landschaftsbild. Zusammen mit unseren flexiblen Gaskraftwerken können wir damit verlässlich Energie zur Verfügung stellen und die Nachfrage unserer Kunden bedienen.
Viele Chemieunternehmen wollen nachhaltiger produzieren. Merken Sie das?
Ja, wer grüne Produkte erzeugen will, benötigt auch grünen Strom. Die nachhaltige Chemie ist ein Megatrend, den wir in Leuna intensiv vorantreiben. Aktuell baut der finnische Konzern UPM am Standort einen großen Chemiekomplex auf, um aus Holz chemische Produkte herzustellen. Es ist ein weltweit einzigartiges Projekt. Dadurch entstehen auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für nachfolgende Produktionen. Es gibt weitere Firmen aus dem Bereich der nachhaltigen Chemie, die Interesse haben, hier am Standort Leuna aktiv zu werden.
Sie planen, den Standort auszubauen. Reicht der Platz nicht mehr?
Über den gesamten Standort verteilt haben wir noch etwa 35 Hektar freie Flächen. Das reicht jedoch nicht mehr, um große, zusammenhängende Flächen für neue Investoren zur Verfügung zu stellen. Wie schon bekannt ist, will die Kreisentwicklungsgesellschaft Saalekreis mbH am Industriegebiet Merseburg-Süd einen neuen Industriepark in der Größe von 150 Hektar Ansiedlungsfläche für klimaneutrale Industrie der Bioökonomie und Biochemie schaffen. Das soll eines der Leuchtturmprojekte des Strukturwandels in der Region werden.
In Schkopau, nur wenige Kilometer von Leuna entfernt, gibt es noch reichlich freie Ansiedlungsflächen. Der Konzern Dow sucht einen Investor für seine Chemieparkgesellschaft. Warum greifen Sie nicht zu?
Wir sind mit der Entwicklung unseres Standorts Leuna gut ausgelastet und sehen auch noch großes Zukunftspotenzial. Wir wollen hier am Standort Leuna mit unseren Kunden weiterwachsen.
Ökologisch ist es aber nicht, wenn hier weitere Flächen versiegelt werden, die nicht weit entfernt zur Verfügung stehen.
Das ist zu kurz gesprungen. Das Thema Ökologie erschöpft sich nicht in der Flächenfrage. Es ist ein komplexes Thema, das vor allem mit der Energieversorgung und Synergien in der Produktion zu tun hat. Eine Einbindung in die Infrastrukturen der InfraLeuna ermöglicht es, den CO2-Ausstoß in der Produktion deutlich senken. Das ist an anderen Standorten nicht so einfach möglich. Die Erweiterung unseres Standortes ist daher mit Blick auf Ökologie und CO2 sehr sinnvoll.