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Doppelte Kraft voraus

MZ 08.11.2018

Das Herzstück kommt in weißem Gewand mit dem blauen Logo der Linde AG bedruckt daher. Unscheinbar, aber ohrenbetäubend kühlt die Maschine 2.500 Kubikmeter gasförmigen Wasserstoff pro Stunde auf -253 Grad herunter, so dass daraus hoch reiner flüssiger Wasserstoff entsteht. Seit über zehn Jahren arbeitet die in Fachkreisen als Cold Box bezeichnete Kältekammer bereits auf dem Gelände des Unternehmens am Chemiestandort in Leuna. Doch der steigende Bedarf an flüssigem Wasserstoff bringt die Kammer an ihre Grenzen. Die Linde AG hat sich daher entschieden, bis 2021 zwischen 30 und 35 Millionen Euro in eine zweite Anlage zu investieren, die mit gleicher Leistung arbeiten wird. "Wir wollen unsere Produktion von flüssigem Wasserstoff verdoppeln", erklärt Andreas Dietrich, Manager bei Linde. So soll der Bedarf der Kunden gedeckt und Wasserstoff als Antriebsmöglichkeit für Fahrzeuge vorangetrieben werden. Es wäre die vierte Anlage ihrer Art in ganz Europa und die zweite der Linde AG in Leuna.

Stündlich stellt die Linde AG aus Erdgas 70.000 Kubikmeter Wasserstoff her. Ein Teil werde über Pipelines zu Kunden transportiert, 2.500 Kubikmeter werden aber kontinuierlich von 20 auf eben jene -253 Grad gekühlt, bei der der Stoff den Aggregatzustand wechselt. Bis zu diesem Punkt sind andere Bestandteile bereits zu Eis gefroren. "Sie werden mit einer Art Sieb abgefangen", sagt Betriebsleiter René Müller. Anwendung findet dieser reine Wasserstoff vor allem in der Elektroindustrie. "Bei der Chipherstellung dürfen keine Verunreinigungen entstehen, deshalb werden sie in einer Wasserstoffumgebung hergestellt", fügt Dietrich hinzu.

Der flüssige Zustand ermöglicht es dem Unternehmen, sechsmal mehr Wasserstoff mit einem Lkw zu transportieren. Diese sind so konzipiert, dass der Wasserstoff flüssig bleibt. Linde beliefert Kunden in ganz Europa, der Schwerpunkt liege jedoch auch weiterhin auf Deutschland. Doch schon jetzt würden Kunden, die nicht zwingend diesen besonders reinen Wasserstoff benötigen, wieder mit der gasförmigen Variante versorgt, sagt Andreas Dietrich. Die neue Anlage sei daher schon entwickelt und auch die nötige Genehmigung liege vor. Aber gerade weil die Kältekammer besonderen Anforderungen standhalten muss, würde die Errichtung bis Januar 2021 dauern, so die Erwartung.

Die Zukunft des Wasserstoffs sieht Dietrich allerdings nicht nur in der Elektroindustrie oder Chemie. Vielmehr ist die Linde AG Mitglied eines Konsortiums, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, bis 2023 insgesamt 400 Wasserstofftankstellen in ganz Deutschland zu bauen. Verschiedene namhafte Unternehmen aus der Industrie beteiligen sich daran. Pro Tankstelle rechnet Dietrich mit Kosten von einer Million Euro, die zur Hälfte von Linde getragen werden.

"Die erste in Leipzig haben wir vor kurzem mit der Total in Betrieb genommen, eine weitere in Halle wird zusammen mit der PS Union im Dezember oder Januar in Betrieb gehen", sagt Dietrich. Die Vorteile liegen für ihn klar auf der Hand: Das Tanken dauere etwa vier Minuten und die Reichweite der Fahrzeuge gleiche je nach Tank mit 400 bis 700 Kilometern jetzigen Standards. Im Saalekreis ist nach Auskunft der Kreisverwaltung allerdings noch kein Fahrzeug registriert, das mit einer Brennstoffzelle und Wasserstoff betrieben wird. Doch Dietrich sieht hier wieder das Henne-Ei-Problem. Ohne Tankstellen würde die Technologie nicht auf die Straße kommen.