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Auferstanden aus Ruinen

MZ 14.08.2017

Frühzeitige Berufsorientierung schon für Jugendliche war zu DDR-Zeiten ein echtes Muss. Noch heute können sich viele an Maßnahmen wie Produktive Arbeit (PA) beziehungsweise den Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion (UTP) erinnern. Die Teilnahme daran war ab der siebten Klasse Pflicht - mit dem Ziel, dass die Jugendlichen langfristig an einen Beruf herangeführt werden und wissen, worauf sie sich dabei einlassen. Dank eines Modellprojekts im Saalekreis erlebt die PA nun ein kleines Comeback. Künftig sollen dank einer Initiative der Bildungsakademie Leuna 350 Schüler wieder direkt in den Werkstätten und Laboren in technische und chemische Berufe hineinschnuppern und dabei auch selbst tätig werden.

Angesichts der vielen Wahlmöglichkeiten scheint es Jugendlichen heutzutage schwer zu fallen, sich auf einen Beruf festzulegen. "Wir haben den Fall in unserem Unternehmen selbst erlebt, dass ein Lehrling nach einem Jahr sagte, dass er etwas anderes machen will", erzählt Marcus Turré, Prokurist beim Unternehmen Glaconchemie in Merseburg. Für die Firma war die überraschende Neuorientierung ihres Auszubildenden ein herber Rückschlag: Ging doch von heute auf morgen nicht nur ein Mitarbeiter verloren, auch das bereits in die Ausbildung investierte Geld war futsch. Umso mehr lobt Turré das Modellprojekt der Bildungsakademie als einen richtigen Schritt. Es ermöglicht nicht nur die langfristige Bindung von Ausbildungsinteressenten an ein Unternehmen, sondern auch frühzeitige Förderung.

Unter dem Namen "Pink" - praxisnah, individuell, nachhaltig, konkret - wird die Bildungsakademie mehrere hundert Schüler der achten und neunten Klassen ab September an die Werkbänke holen. "Über drei Jahre werden die Jugendlichen begleitet, wodurch wir uns Klebeeffekte versprechen und die Abbrecherquoten deutlich senken werden", sagt der Geschäftsführer der Bildungsakademie, Steffen Staake. "Schon jetzt gibt es zur Berufsorientierung mehr als ein Dutzend Instrumente, an denen wir zum Teil selbst mitwirken, die aber alle nicht langfristig genug wirken", erklärt Staake das neue Projekt.

Nicht nur sechs Sekundarschulen haben für die mit einer Million Euro geförderten Kooperation grünes Licht signalisiert, auch das Bildungsministerium hat die Pläne abgesegnet. Denn schließlich wird jeder Jugendliche aller zwei Wochen an einem Tag in den Werkstätten und Laboren der Bildungsakademie lernen. Für "Pink" werden die Schüler einen Tag vom Unterricht freigestellt. Dass ihnen dadurch Inhalte des Lehrplans entgehen, glaubt Staake nicht. "Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern lernen sie bei uns ja etwas aus erster Hand dazu", sagt er.

Der Geschäftsführer hofft, durch das Gestalten mit den eigenen Händen und das besondere Erlebnis außerhalb des herkömmlichen Bildungssystems Begeisterung bei den Jugendlichen für bestimmte Berufe wecken zu können. Lange, insgesamt acht Jahre, hatte man an dem Projekt gefeilt. Ein Ideenwettbewerb des Kreises, der im Übrigen auch die Transportkosten der Schüler übernehmen wird, beschleunigte die Umsetzung. Ob Pink, die moderne Form der PA, auf dem Ausbildungsmarkt die Trendwende bringt, zeigt sich spätestens in drei Jahren.