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Leuna setzt auf grüne Chemie

MZ 21.07.2021

Die vergangenen 16 Monate dürfen am Chemiestandort Leuna in der Summe als Erfolg gewertet werden. Das gilt vor allem für die InfraLeuna, den Betreiber des Standorts. Natürlich machte die Pandemie auch um Leuna und die über 10.000 Beschäftigten in den zahlreichen Unternehmen dort keinen Bogen. Doch Corona war am Standort eher Herausforderung, denn Problem. "In der ersten Phase der Pandemie gab es temporäre Abstellungen in Anlagen, die als Zulieferer für die Automobilindustrie arbeiten, weil dort die Bänder stillstanden", berichtet InfraLeuna-Geschäftsführer Christof Günther. Auf der anderen Seite seien aber auch Chemieanlagen, die Rohstoffe für Reinigungsmittel oder die Baubranche lieferten, besonders ausgelastet gewesen.

Auf die gesundheitlichen Herausforderungen reagierten einzelne Unternehmen, in dem sie ihre Mitarbeiter in Zwei-Wochen-Schichten quasi kasernierten. Insgesamt lässt sich aber sagen, die Chemie lief trotz Corona. "Wir sind gut durch den Lockdown gekommen", resümiert Günther. Die Firmen am Standort profitierten dabei davon, dass ihre Mitarbeiter im Landessüden wie Ärztinnen oder Pfleger als "systemrelevant" galten. Ein Sonderstatus zu dem wohl die Relevanz des Standorts als wesentliche Steuerquelle des Landes beigetragen hat.

Die positive Gesamtbilanz der vergangenen anderthalb Jahre hat allerdings noch einen gewichtigeren Grund als den ökonomisch milden Verlauf der Pandemie. Die InfraLeuna propagiert seit Längerem das Ziel der "grünen Chemie" oder der "Decarbonisierung". Die Industrie soll weniger umweltschädlich werden. Kleinerer Kohlendioxid-Abdruck, größere Energieeffizienz, erneuerbare Rohstoffe statt fossile wie Erdöl und -gas. Auf dem Weg dorthin konnte die InfraLeuna in der jüngsten Vergangenheit einige Großinvestitionen an Land ziehen, die derzeit bereits realisiert werden.

Allen voran ist da die Ansiedlung des finnischen Konzerns UPM zu nennen. Der errichtet in Leuna gerade die erste Bioraffinerieanlage in Deutschland, die die größte weltweit sein wird. Dort soll künftig Holz zu Chemikalien für die Kunststoffherstellung umgewandelt werden, die heute noch in der Raffinerie aus Erdöl entstehen. Die Produktion soll schon im kommenden Jahr starten. Bis dahin will UPM knapp 550 Millionen Euro in Leuna verbauen.

Dort steht die neue Anlage demnächst in Nachbarschaft zu jener der Topas Advanced Polymers GmbH, der deutschen Tochter eines japanischen Großkonzerns. "Da geht es um leicht recyclebare Kunststoffe", erklärt Günther. "Das passt zum Trend der zirkulären Wirtschaft." Stoffkreisläufe statt -ketten, die auf der Müllhalde oder in der Verbrennung enden.

Auch die Total-Raffinerie, die ihren turnusmäßigen Wartungsstillstand im Frühsommer trotz bis zu 5.000 Arbeitern vor Ort fast ohne Coronainfektionen über die Bühne gebracht hat, kündigte zuletzt Investitionen in Richtung klimaschonende Produktion an. Der wichtigste Benzinlieferant in Mitteldeutschland will perspektivisch am Standort klimaneutral Methanol produzieren, indem er in Prozessen ohnehin anfallendes Kohlenstoffdioxid und grünen Wasserstoff einsetzt.

Letzter hat Leuna in den vergangenen Monaten häufig positive Schlagzeilen beschert. Der Bedarf an dem Gas ist in der Chemieindustrie groß. Bisher wird er vor allem durch grauen Wasserstoff gedeckt, also solchen, der aus fossilen Stoffen, zumeist Erdgas, gewonnen wird. Der grüne Produktionsweg bedeutet dagegen, dass Wasser mit Hilfe von Ökostrom in Wasser- und Sauerstoff aufgespalten wird. Die Linde baut derzeit in Leuna eine Pilotanlage für den industriellen Einsatz. Es wird die größte ihrer Art sein und dennoch nur einen Bruchteil des am Standort benötigten Wasserstoffs liefern.

Das Beispiel zeigt, wie weit der Weg zur grünen Chemie trotz der Erfolgsmeldungen noch ist. Denn selbst wenn die Produktionskapazitäten irgendwann reichten, um den grauen Wasserstoff am Standort komplett durch grünen zu ersetzen, entstünde ein enormer zusätzlicher Strombedarf. Günther rechnete jüngst vor, dass der allein für die Umstellung der Wasserstoffproduktion der Leistung eines Atomkraftwerks entspreche. Nur, dass er komplett aus Ökostrom gedeckt werden muss. Wie? Das ist noch unklar.

Vorerst bleiben Christof Günther dennoch die positiven Aussichten darauf, bald die weltweit größte Bioraffinerie und den weltweit größten Elektrolyseur am Standort in Leuna zu haben. Und, wie der Geschäftsführer betont, ein Investitionsvolumen, das in der deutschen Chemie einzigartig derzeit sei. Insgesamt laufen am Standort gerade Bauprojekte für rund 1,3 Milliarden Euro.