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Aus Stroh wird Gold

MZ 04.10.2012

Die Bundeskanzlerin ist überpünktlich. Fünf Minuten früher als es der minutiös aufgestellte Zeitplan vorsieht, landet der Hubschrauber mit Angela Merkel (CDU) auf einer Freifläche neben dem neuen Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP). In Leuna wird an diesem Dienstag Geschichte geschrieben, denn was im CBP geleistet werden soll, erinnert an das Märchen mit dem Rumpelstilzchen. Aus Stroh Gold spinnen: Dafür brauchen die 19 Mitarbeiter allerdings keine phantasievollen Schreiber wie die Gebrüder Grimm. Am CBP soll Biomasse - vornehmlich Holz und Stroh - so umgewandelt werden, dass die dabei gewonnenen Stoffe zur Produktion etwa von Kunststoffen eingesetzt werden können. Dann hätte man eine Alternative zum Erdöl, dem schwarzen Gold. 
Es ist erst das dritte Mal, dass ein deutscher Regierungschef den Chemiestandort besucht. Das letzte Mal war es noch Helmut Kohl (CDU). Merkel zeigt sich beeindruckt vom Wandel der Region. "Leuna stand immer für Stärke, allerdings haben wir 1990 gesehen, dass es so nicht mehr weitergehen konnte", sagt sie. Es sei strategisch klug gewesen, die Fachkräfte und ihren enormen Erfahrungsschatz im mitteldeutschen Chemiedreieck zu halten. 
Reimund Neugebauer, erst seit dem 1. Oktober als Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft im Amt, spricht mit Blick auf den Tag der Deutschen Einheit von einem Symbol. Dass die Bundeskanzlerin zur Eröffnung des CBP gekommen sei, werte er als Ritterschlag für das innovative Projekt und den Spitzencluster Bio-Economy, zu dem das neue Forschungszentrum gehöre. "In einem alten Chemiedreieck legen wir den Grundstein für die zukünftige Chemie", sagt er. Während Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) das Bundesland als einen führenden Standort im Bereich der erneuerbaren Energien bezeichnet, kann die Standort-Betreiber-Gesellschaft InfraLeuna für sich beanspruchen, in Rekordzeit die notwendige Infrastruktur von der Stromleitung bis zur Straße bereitgestellt zu haben. 53 Millionen Euro sind bislang in das CBP geflossen. Dr. Christof Günther, Geschäftsführer der InfraLeuna, erhofft sich Impulse auch für die etablierten Unternehmen auf dem Gelände. Bis das CBP aber im großindustrieellen Maßstab produzieren kann - von einer Bio-Raffinerie ist die Rede - werden wohl noch mindestens zehn Jahre vergehen. Frühestens 2015 dürften es zuvor die ersten Produkte über den Laborstatus hinaus in den praktischen Einsatz geschafft haben. 
"Das werden Spezialprodukte sein", glaubt der ehemalige Infra-Chef Andreas Hiltermann. Die Total-Raffinerie wird das CBP damit nicht überflüssig machen können - auch später nicht. Zwei bis drei Millionen Tonnen Erdöl und Erdgas benötigen alleine die Firmen am Standort jährlich für ihre Produktionsprozesse. Eine gewaltige Menge, von der die Biomasse mit Hilfe des CBP aber einen Anteil abnehmen soll.