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Auf Betriebstemperatur

MZ 04.08.2012

Normalerweise lässt man einem neuen Chef 100 Tage Schonfrist. Dann ist die Zeit für ein erstes Fazit. Christof Günther, promovierter Wirtschaftswissenschaftler, muss sich auf dem Chemiestandort Leuna nicht eingewöhnen. Seit 2004 arbeitet der 43-Jährige in verschiedenen Führungspositionen bei der InfraLeuna. Am 1. Juli hat der Vater von vier Kindern die Geschäftsführung der Standort-Betreibergesellschaft übernommen. Der gebürtige Thüringer, der mit seiner Familie in Merseburg wohnt, hat die Nachfolge von Andreas Hiltermann angetreten. MZ-Redakteur Dirk Skrzypczak hat mit Christof Günther über Entwicklungen und Ziele gesprochen. 

Sie tragen seit acht Jahren Verantwortung bei der InfraLeuna: Da müssten Sie als neuer Geschäftsführer doch sofort auf Betriebstemperatur sein. . 

Dr. Günther: Das kann man so sagen. Es ist ein Vorteil, dass ich Mitarbeiter wie auch unsere Kunden hier am Standort ganz genau kenne. Das vermeidet unliebsame Überraschungen. Zuletzt lag mein Schwerpunkt auf der Energie. Nun gilt meine Aufmerksamkeit allen Geschäftsfeldern. 

In diesen Tagen machen wieder Schreckensmeldungen die Runde. Eurokrise, Firmenpleiten. Wirtschaftsflaute. Spüren Sie am Standort etwas davon? 

Dr. Günther: Unsere Situation ist stabil. Allerdings führt die gesamte Lage zu skeptischeren Einschätzungen der Zukunft. Das schlägt sich zwar nicht unmittelbar in wirtschaftlichen Effekten nieder. Abrupte Marktbewegungen, wie wir sie erleben, sorgen dennoch für eine V erunsicherung in den Unternehmen.

Sind die tausenden Jobs am Standort also vorerst sicher? 

Dr. Günther: Aussagen für alle Firmen sind schwierig, man muss das differenziert betrachten. Einen Grund zur Panik sehe ich aber in keiner Weise. Als wir 2008 und 2009 die Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt haben, hat sich der Verbund in Leuna auch schon sehr robust gezeigt. Wir haben die Krise damals zwar früh gespürt, waren aber auch schnell wieder aus dem Tal heraus. Unser Vorteil sind die modernen Anlagen und effizienten Verfahren. Unsere Produktion ist weitergelaufen, während an anderen Chemiestandorten Anlagen abgeschaltet werden mussten. Wir sind gut aufgestellt. 

Ein Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung sind Investitionen. Ihr Vorgänger Herr Hiltermann sprach von rund 300 Millionen Euro, die seitens der Unternehmen in mehreren Jahren in den Standort fließen sollen. Bleibt es dabei? 

Dr. Günther: Viele Projekte. sind auf einem guten Weg. Allerdings bringt es nichts, Entwicklungen nur an den Investitionen festmachen zu wollen. Uns geht es nicht in erster Linie um möglichst hohe Millionenbeträge. Wir sind an Investitionen interessiert, die in unsere Stoffwirtschaft passen. Daraus zieht der Standort seinen Nutzen, weil sich auf diese Weise Synergien ergeben. In den vergangenen Jahren kamen die erfolgreichsten Investitionen in aller Regel aus dem Standort heraus. 

Und dafür wird Leuna beneidet. Wie sich doch die Zeiten ändern. In der DDR galt die Region als eine der Dreckecken der Republik. 

Dr. Günther: Die Chemie von heute lässt sich mit der Produktion von vor zwei Jahrzehnten nicht mehr vergleichen. 1988/89 musste ich zum Grundwehrdienst nach Halle. Wenn wir mit dem Zug durch Leuna gefahren sind, haben wir die Fenster nach oben geschoben, um uns vor dem Gestank zu schützen. Das hat sich grundlegend geändert und fördert die ohnehin schon gute Akzeptanz im Umfeld noch weiter. Aktuelles Beispiel für den rasanten Wandel ist unser Einzug ins Finale des Wettbewerbs um den Klimaschutzpreis der Umweltallianz Sachsen-Anhalt. Damit werden insbesondere unsere Erfolge bei der Steigerung der Energieeffizienz in unserem Kraftwerk gewürdigt. 

Ihre Kernkompetenz liegt in Energiefragen. Einer der entscheidenden Faktoren für die Zukunft wird sicher sein, wie teuer es ist, in Leuna ein Werk zu betreiben. 

Dr. Günther: Die Energiekosten spielen immer eine wichtige Rolle. Wir verbrauchen hier am Standort pro Jahr mehr Strom als alle Einwohner von Magdeburg, Halle und Dessau zusammen. Doch wir sind gerüstet. Als InfraLeuna betreiben wir moderne Gas- und Dampfturbinenkraftwerke, um unsere Kunden zu versorgen. In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir die Flexibilität unseres Kraftwerks erheblich gesteigert. Davon profitieren auch unsere Kunden. Und wir leisten durch unser Eingreifen einen generellen Beitrag, das allgemeine Stromnetz zu stabilisieren. 

Das müssen Sie näher erklären. 

Dr. Günther: Wir handeln Strom, den wir produzieren, auch an der Börse. Wird der Strom billiger, als wir ihn selbst erzeugen können, dann kaufen wir ihn ein und bauen damit Überkapazitäten im Netz ab. Ist Strom aber richtig teuer, speisen wir selbst in das öffentliche Netz ein und schließen so eine Versorgungslücke. Denn muss für den Strom mehr bezahlt werden, liegt es daran, dass er knapp ist. 

Noch eine letzte Frage: Wo sehen Sie den Standort in 20 Jahren? 

Dr. Günther: Der Ausbau von Spezial-Know-how, enge Zusammenarbeit mit unseren Kunden zur Stärkung von Synergien und die unermüdliche Suche nach Optimierungspotenzialen sind die Grundlage der weiteren Entwicklung. Wir werden Forschung und die Produktionsprozesse dank namhafter Institute wie Fraunhofer noch enger verzahnen. Neben. der Basis-Chemie entstehen heute Marktchancen vor allem bei hochwertigeren Produkten. Diese Spezialitätenchemie soll uns neue Geschäftsfelder erschließen. An unserem Standort haben viele Unternehmen in den letzten Jahren erfolgreich attraktive Marktsegmente identifiziert und besetzt. Und ich bin optimistisch, dass unsere Kunden, die sich in den vergangenen Jahren durch Anpassungsfähigkeit und Unternehmergeist ausgezeichnet haben, auch in Zukunft erfolgreich sein werden. Dafür müssen wir alle natürlich hart arbeiten.