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Chemie kappt Investitionen

MZ 05.03.2014

Die Chemieparks in Sachsen-Anhalt, in denen zehntausende Menschen arbeiten, sind Leuchttürme der ostdeutschen Wirtschaft. Aufgrund steigender Energiekosten und unsicherer Rahmenbedingungen könnten diese künftig allerdings an Strahlkraft verlieren. „Die Investitionen in der Branche sinken besorgniserregend“, sagte am Dienstag Paul Kriegelsteiner, Hauptgeschäftsführer der Nordostchemie. 2012 seien die Investitionen gegenüber dem Vorjahr um 19 Prozent auf knapp 900 Millionen gesunken. Dies reiche nur noch zum Erhalt der Anlagen. Besserung sei nicht in Sicht. „Was heute nicht investiert wird, verdienen wir morgen nicht.“
Das Chemiepark-Netzwerk CeChemNet und das Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland beriet am Dienstag bei Dow Olefinverbund in Schkopau die schwierige Situation mit der Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und Ost-Beauftragten, Iris Gleicke (SPD), und der SPD-Landesvorsitzenden Katrin Budde.
Christof Günther, Chef des Industrieparks Infra-Leuna erklärte, dass die steigenden Stromkosten durch den Ausbau der erneuerbaren Energien die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährden. „Aufgrund der unsicheren Rahmenbedingungen sind am Standort keine großen Neuinvestitionen zu erwarten“, sagte er. Auch die Geschäftsführer der Chemieparks in Bitterfeld-Wolfen, Schkopau, Zeitz und im brandenburgischen Schwarzheide zeichneten ein ähnliches Bild. Die ansässigen Unternehmen würden zwar auf hohem Niveau produzieren, Erweiterungen würden aber kaum getätigt.
Viele energieintensive Chemie-Firmen sind teilweise von der sogenannten EEG-Umlage, die alle Stromverbraucher zur Finanzierung der erneuerbaren Energien zahlen, befreit. Dennoch summieren sich die EEG-Kosten. Laut Günther seien es am Standort Leuna im Jahr 2013 rund 13 Millionen Euro gewesen. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 war es eine Million Euro. Es sei im internationalen Wettbewerb kaum möglich, diese Kosten an die Kunden weiterzureichen.
Wie ein Damoklesschwert schwebt zudem über der Branche das eingeleitete Beihilfeverfahren der EU-Kommission. Diese will das Privileg der Befreiung von der EEG-Umlage streichen. „Sollte die Ausgleichsregelung wegfallen, werden wichtige Produzenten in der Lieferkette wegbrechen“, warnte Günther. Ein solcher ist beispielsweise der Chlor-Produzent Akzo Nobel in Bitterfeld. Mehr als zwei Drittel der Produktionskosten entfallen bei der Firma auf Strom. „Unternehmen mit Tausenden von Beschäftigten sind von unseren Lieferungen abhängig“ sagte Akzo-Nobel-Werkleiter Stefan Kauerauf.
Die Ostbeauftrage der Bundesregierung, Gleicke, unterstrich die Bedeutung des industriellen Sektors als Fundament für Wachstum und Wohlstand. „Die Ausnahmeregelungen für stromintensive Firmen wollen wir auf jeden Fall erhalten“, sagte Gleicke. Die Bundesregierung befinde sich dazu in intensiven Gesprächen mit der EU-Kommission. Bei der Neugestaltung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes seien zwei Aspekte zentral: die Sicherheit der Stromversorgung und die Preise. „Die Kosten dürfen uns nicht davonlaufen.“ Konkrete Zahlen zur geplanten Entwicklung der EEG-Umlage nannte Gleicke aber nicht.
SPD-Landeschefin Budde unterstrich, dass bezahlbare Energie eine „unabdingbare Grundlage für den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt ist“. Energiewende bedeute nicht nur, viele neue Windräder aufzustellen und Solarzellen auf die Dächer zu bringen. Es sei nötig, ein gesamtdeutsches Konzept dazu aufzustellen, wo, in welchem Umfang und zu welchen Kosten künftig Ökostrom-Anlagen installiert werden. „Es geht nicht darum, die Energiewende auszubremsen, sondern in geordnete Bahnen zu lenken.“